Clarisse: But why do you burn books?
Guy Montag: Books make people unhappy, they make them anti-social.
(Fahrenheit 451)

In der Romanwelt von Ray Bradburys Fahrenheit 451 sind Bücher verboten; werden welche entdeckt, werden sie sofort verbrannt. Eine Widerstandsgruppe von Buchlesern rettet die wichtigsten Bücher, indem jedes Mitglied der Widerstandszelle ein Buch vollständig auswendig lernt und so vor der materiellen vernichtung bewahrt. Diese illegalen Kopien haben natürlich Parallelen mit den immateriellen Kopien von Werken, deren Freiheit wir zumindest für die nicht-kommerzielle Nutzung fordern.

„Clean IT – fighting the illegal use of the Internet.“[1] ist wieder so ein Vorstoß, das Internet endlich „unter Kontrolle zu bekommen“ – nach SOPA, ACTA, CISPA, dem Internetzugangserschwerungsgesetz … kaum haben wir den einen Schlag abgewehrt, kommt der nächste. Alles vermutlich zum Wohle unserer Kinder und zur Abwehr von islamistischen Terroristen, die, wie wir wissen, schließlich an jeder Ecke des Netzes auf uns lauern. Allein die totalitäre Sprache von „Säuberung“ – wörtlich „Clean it!“, also „Macht es sauber!“ verursacht Gänsehaut.

So I infer that the purpose of SOPA is to close the loop, and allow the oligarchy to shut down hostile coordinating sites as and when the anticipated revolution kicks off. Piracy/copyright is a distraction.
(Charles Stoss)

Wenn bei Ray Bradbury schon Bücher die Menschen unglücklich und „anti-sozial“ machen – im Netz kann ich nicht nur den Unmut oder auch die Wünsche und Utopien anderer lesen, ich kann auch ohne große Mühe Gleichgesinnte finden und mich organisieren. Ägypten, Libyen oder Spanien haben diese Kraft des Netzes deutlich vor Augen geführt. Geht also es in Wahrheit darum, im Ernstfall zu Verhindern, dass die Menschen sich über das Netz zu Protest oder Revolte organisieren und versammeln, wie Charles Stoss fürchtet?

Vielleicht sind diese Initiativen zur Quellenzensur tatsächlich nur aus Dummheit und Unwissenenheit entstanden. In der Diskussion ging es schon bei der Netzsperrendebatte 2009 nicht nur um die Frage der Wirksamkeit solcher Maßnahmen, sondern vor allem darum, ob dahinter nicht eine viel krassere Absicht stünde: die Kontrolle über die Kommunikation. Bisher ist es ja glimpflich ausgegangen, und die schlimmsten Zensur-Torheiten sind uns erspart geblieben. Allerdings: „gerade nochmal gut gegangen“ ist das Gegenteil von „alles im Lot“!

I heard SOPA was going to break the internet so just did a *Save As* and put in on @dropbox. (seriously, get involved people)Was hätten wir von einem Back-Up der Netzdaten, wie das @pm in seinem Tweet oben anlässlich SOPA fordert? Würden wir in irgendeiner Weise die Zensur einer Clean IT umgehen? Das Netz besteht doch viel weniger aus den Inhalten als aus den Interaktionen und Verknüpfungen, aus der Kommunikation.

Das Dringlichste ist also: weiter Widerstand leisten! Solange Zensurgesetze weiter in Salven auf die Bürgerrechte einprasseln, brauchen wir uns jedenfalls keine Sorgen machen, warum sich die Arbeit für die Piratenpartei lohnt …

Aber das wichtigste wäre, wenn es gelänge, diese Quellenzensur prinzipiell auszuschalten. Den Ausweg zeigt uns das Konzept des Internets selbst: wir brauchen dazu verteilte, nicht-proprietäre, kryptografisch gesicherte Social Networks.

1) verteilte, nicht-zentralistische Infrastruktur

Social Networks sind systemrelevant. Wir dürfen sie nicht wenigen großen Anbietern überlassen, die sehr leicht (auch ohne Clean IT, SOPA und Konsorten) unter Kontrolle zu bringen sind. Es ist also höchste Zeit, ernst zu machen, mit freien, verteilten Netzen. In diese Richtung geht auch die Initiative, das offene StatusNet statt Twitter zu verwenden. Besser wäre aber, ein echtes „Distributed Social Network“, das sich auf ein Minimum an Infrastruktur beschränkt und so verteilt wie möglich aufgebaut ist, ausschließlich P2P und mit einem DNS-artigen Adresssystem, unabhängig von den NICs. Solche vollständig verteilten Netze gibt es beim BitTorrent und diversen Darknets wie z.B. Freenet – aber leider nur zum Datenaustausch, nicht als Kommunikationsnetz.

2) nicht-lokale und nicht-proprietäre Struktur, die nicht grundsätzlich einem bestimmten Rechtssystem unterworfen ist

Im Idealfall ist jeder Teilnehmer ein gleichwertiger, unabhängiger Knoten. Jeder ist für seine Worte selbst verantwortlich; es gibt keine Plattform, die sich abschalten ließe. Es gibt vielmehr gar keine Plattform, die man juristisch als Störer verantwortlich machen könnte. Selbstverständlich darf der Code der Plattform nicht juristisch oder technisch verschlossen sein.

3) Integrität

Es ist IMO weniger wichtig, dass die Kommunikation durch starke Verschlüsselung geheim bleibt – im Gegenteil: wenn es um Sicherstellung von unzensierten Nachrichten geht, ist es sogar entscheidend, dass die Kommunikation so offen wie möglich erfolgen kann. Der gefährlichste Angriff auf Kommunikation ist nicht der Filter – es ist die gezielte Verfälschung der Botschaften eines (ansonsten vertrauenswürdigen) Absenders, der dadurch diskreditiert wird bzw. dessen Botschaften schlicht nichts mehr wert sind, weil man Desinformation und echte Botschaft nicht mehr unterscheiden kann. Wichtiger als Anonymität ist daher die Sicherstellung der Integrität, dass die Botschaften, die wir erhalten auch tatsächlich und authentisch von dem angegebenen Absender stammen – also das Gegenteil von Anonymität. Die kryptografischen Verfahren sind sowieso dieselben, ob es um Signatur oder Geheimhaltung geht.

Ein verteiltes, dezentrales und nicht-lokales, nicht-proprietäres Netz, das die Authentizität und Integrität seiner Kommunikation schützt – als Grundlage einer autonomen, egalitären Öffentlichkeit.

Dann wäre Schluss mit Clean IT.
(Und das schreib ich jetzt so lange immer wieder, bis ich meine „verteilten Netze“ bekomme!)

[1] Piratenpartei.de zu Clean IT

(Zweites Augenpaar: Enno Park)

Ein Kommentar

  1. 1

    […] Clean IT – Widerstand leisten und Zensur dauerhaft verhindern.: […]

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