Angenommen auf der Landesmitgliederversammlung 2012.2

Junge Menschen können heute nicht frei wählen, wo, wann in welchem Umfang und unter welchen Umständen sie sich bilden wollen. Durch die allgemeine Schulpflicht (Schulbesuchspflicht) werden sie gezwungen, täglich eine bestimmte Institution zu besuchen.

Dies verletzt das im Grundsatzprogramm der Berliner Piratenpartei formulierte „Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Wissen und Bildung“: Der Zugang zu Wissen und Bildung ist durch Pflicht, eine bestimmte Institution zu besuchen, nicht selbstbestimmt. Ferner ist die Möglichkeit, sich alternative Wege der Bildungs- und Wissensaneignung zu erschließen, wesentlich eingeschränkt.

Die derzeitige Regelung im Berliner Schulgesetz (Berliner SchulG §41 ff) sieht Zwangsmaßnahmen gegen junge Menschen, die alternative Bildungswege beschreiten wollen, und ihre Erziehungsberechtigten vor. Maßnahmen wie die zwangweise Zuführung zum Unterricht oder Geldbußen sind der intrinsischen Lernmotivation nicht zu-, sondern abträglich. Ferner wird die Schulpflicht zum Anlass genommen, immer neue Kontrollmechanismen gegen junge Menschen zu fordern (z.B. das „elektronische Klassenbuch“). Die allgemeine Schulpflicht in ihrer heutigen Form (Berliner SchulG §41 ff) und insbesondere der Schulzwang (Berliner SchulG §45) sind mit den Grundsätzen der Berliner Piratenpartei nicht vereinbar. Diese Grundsätze sind im Berliner Grundsatzprogramm wie folgt formuliert:

„Jeder Mensch hat das Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Wissen und Bildung.“ „Menschen bilden sich inzwischen dezentral und asynchron.“ „Der Erwerb von Abschlüssen muss unabhängig davon möglich sein, wie und wo gelernt wurde. Wir erkennen an, dass Bildung auch außerhalb von Institutionen erworben werden kann. “ Die Piratenpartei setzt sich für die Umwandlung der allgemeinen Schulpflicht in das Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Bildung und Wissen und eine Bildungspflicht ein. Junge Menschen sollen die Freiheit erhalten, sich alternativ zum regulären Schulbetriebs selbstorganisiert zu bilden. Jeder Schule soll das Recht eingeräumt werden, Lernende, die nicht am regulären Schulbetrieb teilnehmen wollen, aufzunehmen, zu beraten und nach eigenem Ermessen zu betreuen. Die auf diese Weise aufgenommenen Lernenden sind bei der öffentlichen Finanzierung der Schule zu berücksichtigen.

Schutz vor Isolation und Indoktrination, Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Wissen und Bildung

Uns ist bewusst, dass die derzeitigen Regelungen im Berliner Schulgesetz junge Menschen vor Isolation und Indoktrination schützen können. Die verdachtsunabhängige Einschränkung von Grundrechten aller Lernenden ist hierzu jedoch kein angemesses Mittel. Es gilt im Gegenteil, die Rechte junger Menschen zu stärken, sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber ihren Erziehungsberechtigten.

Mit dem Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Bildung und Wissen ist ein Anspruch der Lernenden gegenüber dem Staat und ihren Erziehungsberechtigten formuliert. Dort, wo der freie und selbstbestimmte Zugang zu Wissen und Bildung eingeschränkt ist oder dies zu erwarten ist, darf und muss der Staat eingreifen. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn Lernende isoliert oder indoktriniert werden oder wenn ihnen keine ausreichenden Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Mit der Bildungspflicht ist hingegen ein Anspruch an die Lernenden formuliert, sich tatsächlich zu bilden. Dies kann durch den Besuch einer Schule oder auf andere Weise geschehen.

Wenn Lernende, die das fünfte aber noch nicht das(anders als im Liquid!) sechzehnte Lebensjahr vollendet haben, nicht an einer Schule angemeldet sind, soll der Staat bei regelmäßigen Besuchen in der Familie und/oder des gewählten Lernortes die Lernenden beraten und über die Angebote des öffentlichen Schulsystems informieren. Er soll weiterhin durch Besuche sicherstellen, dass das Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Bildung und Wissen gewahrt ist und die Lernenden sich tatsächlich und mit hinreichendem Erfolg bilden. Hierzu sind geeignete Vorschriften zu entwerfen. Dabei soll mindestens folgendes geprüft werden, dass den Lernenden entwicklungsgemäße und vielfältige Lernangebote zur Verfügung stehen, dass der Bildungsplan für die Lernenden dazu geeignet ist, sich vergleichbare Fähigkeiten wie Lernende an öffentlichen Schulen anzueignen, dass Zugang zu Informationen und Wissen nicht behindert wird, dass die Rückkehr zu öffentlichen oder staatlich anerkannten Schulen stets möglich ist, dass Lernende in allen Sozialformen lernen können, dass ausreichend Lehr- und Lernmittel zur Verfügung stehen, dass die Lernenden ausreichend Erholungsphasen und Freizeit haben, dass das Kindeswohl nicht gefährdet wird. Wird bei einem solchen Besuch festgestellt, dass der freie und selbstbestimmte Zugang zu Wissen und Bildung nicht gewährleistet ist und/oder die Lernenden die ihnen zur Verfügung stehenden Bildungsangebote nicht oder nicht mit hinreichendem Bildungserfolg in Anspruch nehmen, soll ein Verfahren bei der Schulbehörde eingeleitet werden. Für diese Verfahren wird den Lernenden – angelehnt an das FamFG – ein Verfahrensbeistand zur Seite gestellt, dessen Aufgabe es ist, ihre Interessen zu vertreten. Das Ergebnis so eines Verfahrens können u.a. weitere Unterstützung, (ggf. verpflichtende) Beratung und Betreuung, Einbeziehung des Jugendamtes oder Verpflichtung zum Besuch einer Schule sein.

Anerkennung des öffentlichen Schulsystems und des gemeinsamen Lernens

Die Piratenpartei schätzt die Vorteile eines öffentlichen Schulsystems und sieht viele Vorzüge darin, dass junge Menschen gemeinsam eine Schule besuchen. Sie sieht es daher als ihre Aufgabe an, das Bildungssystem und öffentliche Schulen so attraktiv zu gestalten, dass sie von den Lernenden gerne und auch ohne den Zwang durch eine Schulpflicht besucht werden und sie daran auch nicht gehindert werden. In zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern besuchen auch ohne Schulpflicht nahezu alle Lernenden eine Schule.

Synergie schulischen und schulfreien Lernens

Lernende an öffentlichen und staatlich anerkannten Schulen sollen die Freiheit erhalten, Lehrangebote der eigenen Bildungseinrichtung durch Lehrangebote anderer Bildungseinrichtungen auszutauschen bzw. zu ergänzen. Dies schließt den Unterricht in Lerngemeinschaften außerhalb der staatlichen und staatlich anerkannten Schulen als auch die Nutzung von Angeboten des OnlineUnterrichts ausdrücklich mit ein. Das Gesamtkonzept des Lernenden sollte dazu geeignet sein, sich vergleichbare Fähigkeiten und Kompetenzen wie Lernende anzueignen, die nur die Lehrkonzepte von staatlichen bzw. staatlich anerkannten Schulen nutzen.

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