Auf dem Landesparteitag wurde der Regierende Bürgermeister und SPD – Landesvorsitzende Michael Müller mit äußerst bescheidenen knapp 65% der Stimmen wieder zum Landesvorsitzenden gewählt. Dieses Ergebnis zeigt ein Hauptproblem der SPD klar und deutlich: Sie kommt inhaltlich nicht voran. Fehlende Kindergärten, marode Schulen, steigende Mieten, prekäre Arbeitsverhältnisse, kippen erkennbar jetzt den bisher bestehenden gesellschaftlichen Konsens. Was diejenigen befördert, die mit populistischen Sprüchen die Situation ausnutzen – sie tun das, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, lösen damit aber kein Problem.

Auch der wiederholte Vorschlag Müllers, ein solidarisches Grundeinkommen einzuführen, wird zwar bundesweit diskutiert, ist aber weder neu noch originell.

Warum? Weil der Transformationsprozess des sozialen Wandels zwar wieder in den Vordergrund gerückt wurde durch die SPD, aber sozialtechnologische Politik an ihre – nationalen – Grenzen stößt. Der vielfach bemühte Begriff der sozialen Gerechtigkeit wirkt nicht mehr besonders vertrauenerweckend, denn sozialstaatliche Steuerung ist an ihre Grenzen gestoßen und Aufstiegsversprechen haben sich als hohl erwiesen (außer als Aufstieg durch die Partei). Unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit trugen gut gemeinte Absichten und Projekte, zur Entwertung bei – wie z.B. das Abstandsgebot bei Löhnen.

Arbeit? Welche Arbeit?

Das Problem der SPD, aber auch der Gewerkschaften, besteht darin, diese Werte nicht aufgeben zu können, vor allem weil sie nicht wissen, was an deren Stelle treten kann bzw. sollte.

Beim DGB-Bundeskongress sprach der Bundespräsident davon, dass Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften gemeinsam die Umwälzung der Digitalisierung gestalten sollen. Ein solcher Wunsch kann nur als Illusion bezeichnet werden, da sich die Kräfte, die auf Arbeitnehmer und Gewerkschaften einwirken, sehr häufig außerhalb nationaler Grenzen aufhalten. Letztlich eint beide eine gemeinsame Schwäche: sie haben keine, oder nur eine geringe Wahl, sich gegen die Umwälzung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung zu wehren.

Welche Solidarität?
Hartz IV abschaffen will Andrea Nahles,die neue SPD-Vorsitzende, nicht, da dies nichts ändern würde. Das stimmt sogar. Aber ein Antrag der Jusos auf dem Wahlparteitag, die Sanktionsmechanismen des ALGII zu stoppen, wäre ein Signal gewesen, welche solidarische Gesellschaft sich die Vorsitzende denn vorstellt. Die Agenda 2010 führte nicht nur zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft, sondern ermöglichte auch einen Niedriglohnsektor, der größer ist als in jedem anderen Land der EU.
Der Niedriglohnsektor entwickelte sich bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, seine ganze Dynamik entfaltete er aber erst mit der Ausweitung der Minijobs und der Flexibilisierung der Leiharbeit. Auch wenn einige dieser Fehler mittlerweile erkannt wurden, die einzige Möglichkeit, dieses System tatsächlich einzudämmen ist die Entkopplung von Lohn und Arbeit, wie es mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen möglich ist. PIRATEN als Partei des 21. Jahrhunderts haben dies erkannt, denn die Digitalisierung revolutioniert die Arbeitswelt in einem Ausmaß, wie es sich die alte Arbeiterpartei SPD und ihre neue Vorsitzende offenbar immer noch nicht vorstellen können.

Arbeit, Selbstkritik und Wertewandel
Letztlich müssen vor allem SPD und Gewerkschaften einen Wertewandel akzeptieren. Arbeit muss nicht immer gegen Entlohnung geschehen. Anstatt wie Michael Müller, immer wieder einen staatlich geförderten Arbeitsplatz als Allheimittel zur Veränderung und sogar Abschaffung von Hartz IV darzustellen, wäre das Eingeständnis von Fehlern an anderer Stelle angebracht.

So hat sich mittlerweile herausgestellt, dass Millionen Menschen, denen eigentlich ein Mindestlohn zustehen würde, diesen trotzdem nicht erhalten. [1] Um verlorengegangenes Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, ist hier Fehlersuche und Schuldeingeständnis angesagt. Waren die Lücken im Arbeitsrecht von Beginn an geplant? Hat sich die damalige Arbeitsministerin Nahles von Interessensvertretern über den Tisch ziehen lassen? Oder hatte man nicht die notwendige Fachkompetenz, dieses gleich zu überblicken? Die ehrliche und selbstkritische Beantwortung dieser Fragen würde sicherlich bei einigen dieser benachteiligten Nicht-Mindestlohnbezieher wieder zu Vertrauen in die SPD führen. Was wenn das solidarische Grundeinkommen ein ähnliches Schicksal ereilt, weil z.B. ein Teil der Arbeitslosen Alleinerziehende sind und ihnen mit der Schaffung von Kita-Plätzen sehr viel mehr geholfen wäre als mit dem solidarischen Grundeinkommen?

PIRATEN haben schon lange erkannt, dass die beste Möglichkeit zum Umgang mit den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Umwälzungen in der Arbeitswelt eine Entkopplung von Arbeit und Entlohnung darstellt. Nur wer nicht um jeden Preis arbeiten muss, kann Vertrauen auf soziale Gerechtigkeit aufbauen. Diesen Wertewandel des Arbeitsbegriffs müssen Gewerkschaften und SPD noch vollziehen.

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