Mit an Empörung grenzender Verwunderung nehmen die Themenbeauftragten für Kultur der Berliner Piratenpartei, Claudia Simon und Kerstin Quitsch, den Diskurs sowie die Ereignisse rund um den sogenannten „Theaterstreit“ in Berlin wahr. Sie prangern insbesondere die kulturpolitische Konzept- und Instinktlosigkeit des Kultursenators und seines Staatssekretärs an, diesmal im Rahmen der Neubesetzung der Intendanz der Volksbühne. [1]

«Selbstverständlich ist ein Wechsel der Leitung auch an innig mit der Persönlichkeit ihres Intendanten verwobenen Häusern von Zeit zu Zeit nötig. Selbstverständlich muss ein nun auch schon seit über 20 Jahren umgesetztes Theaterkonzept nicht nahtlos und identisch weitergeführt werden. Selbstverständlich gefällt uns Berliner Pirat*innen die Perspektive von mehr Öffnung, Dynamik, Interdisziplinarität und die Aussicht einer „digitalen Bühne“ [2]», erklärt Claudia Simon.

Die hinter den Kulissen getroffene Entscheidung, die Nachfolge von Frank Castorf an der Volksbühne nicht von der Darstellenden, sondern von der Bildenden Kunst her zu denken, bleibt den beiden Themenbeauftragen allerdings eher unverständlich. Dies besonders in einer Phase, in der Senator und Staatssekretär vor allem durch das schmerzliche Fehlen eines weitreichenden kulturpolitischen Konzepts für Berlin auffielen: «Durch ihr Vorgehen stoßen Müller und Renner die Berliner Kulturakteur*innen – von den Leuchttürmen bis hin zu den feinen Verästelungen der Freien Szene – immer wieder vor den Kopf und bringen sie gegen sich auf.»

Chris Dercon selbst als langjährig erfahrenen Museumsleiter im Bereich der zeitgenössischen Bildenden Kunst wollen die Kultur-Piratinnen dabei nicht kritisieren. Gerade seine Aktivitäten u. a. in Bezug auf Interdisziplinarität, kulturelle Bildung und das Internet kommen ihnen programmatisch grundsätzlich sehr entgegen. «Wir wünschen ihm für seine Intendanz an der Volksbühne bestes Gelingen,» sagt Kerstin Quitsch.

Eine echte Modernisierung oder Weiterentwicklung der Volksbühne erkennen Simon und Quitsch nur begrenzt. Ihr Eindruck zu den Plänen der Kulturverwaltung: Das seit Mitte der 90er Jahre in der Volksbühne gewachsene, sehr diverse Konzept mit zusätzlichen Spielorten und der Öffnung des Hauses für Musik, Diskurs, Party, Kunst soll jetzt scheinbar mit mehr Glam, Internationalität und irgendwas-mit-Internet weitergeführt werden. Dass ein Kannibalisierungs-Effekt gegenüber anderen Berliner Häusern befürchtet wird, können sie ebenfalls nachvollziehen. «Und dass hier,» so Simon weiter, «wie schon bei den Vorschlägen des Kultursenators für das Humboldt-Forum, erneut ein durch Me-too-Bestrebungen kompensiertes Konkurrenzdenken in Bezug auf die kulturellen Aktivitäten des Bundes in Berlin durchscheint, macht es auch nicht besser.»

Deshalb fordern die Kulturbeauftragten der Piratenpartei Berlin den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller auf, gemeinsam mit den Berliner Kulturschaffenden eine durchdachte kulturpolitische Vision für Berlin zu entwickeln, idealerweise mit Beteiligungsmöglichkeit für alle Berliner*innen. Diese Vision sollte alle Facetten der Berliner Kulturlandschaft mit einbeziehen und nicht nur auf internationales Renommée schielen, sondern bis tief in die Bezirke hinein wirken. Prozesse bezüglich der Neuausrichtung einzelner Häuser und der Neubesetzung von Leitungspositionen müssten transparent vor dem Hintergrund dieser Vision stattfinden und demokratischer gestaltet werden. In Bezug auf die Digitalisierung wünschen sich die Piratinnen mehr Wirkung in der Breite, nicht nur in der Spitze: «Es muss jetzt damit begonnen werden, eine – zumindest allen mit öffentlichen Mitteln geförderten Kulturinstitutionen und -projekten zur Verfügung stehende – Servicestruktur aufzubauen, die Streamings von kulturellen Veranstaltungen, Bühne, Kunst, Diskurs etc. fördert und ermöglicht.» Ausnahmsweise stimmen die PIRATEN auch einmal der CDU zu: Die Forderung nach einem eigenständigen Kulturressort im Senat steht bei ihnen bereits seit Herbst letzten Jahres im Berliner Grundsatzprogramm [3].

Quellen:
[1] http://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.301798.php
[2] http://www.monopol-magazin.de/artikel/20109894/Chris-Dercon-Interview-Volksbuehne.html
[3] https://kunstsquad.wordpress.com/2014/11/17/kunst-und-kulturpolitik-im-grundsatzprogramm-auf-der-lmvb-angenommen/

Fotonachweis: CC-BY OTFW Wikipedia

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