Der 15. Juli 2016 war ein entscheidendes Datum in der jüngsten Vergangenheit der Türkei. Innerhalb und außerhalb des Landes konnten Fernsehzuschauer, aber auch Twitternutzer, protestierendes und aufständisches Militär beobachten. Die Vorgänge werden als Staatsstreich bezeichnet. Dieser Staatsstreich war ein politisches Geschenk für den autokratischen Präsidenten Erdogan. Denn bis zu diesem Zeitpunkt galt die Armee eigentlich immer noch als Bollwerk des säkularen Staates von Gründungsvater Mustafa Kemal Atatürk.

Mit mehr als einem Jahr Abstand kann man aber auch von einem Startsignal für Säuberungen reden, wie es sie z.B. unter Stalin gegeben hat, oder auch in China. Ihre Opfer: Gut ausgebildete Menschen mit eher westlich orientiertem Lebensstil, wie beispielsweise die vielen Nato-Offiziere weltweit, aber auch Wissenschaftler. Ein Elitenaustausch ist in vollem Gange. Wahrheit ist mittlerweile ein gefährdetes Gut in der Türkei.

Dies war aber nicht erst mit dem Putsch erkennbar. Bereits im Frühjahr 2016 veranstaltete der Landesverband Berlin der Piratenpartei Demonstrationen unter dem Titel „Keine Macht dem Erdowahn“, u.a. vor der türkischen Botschaft in Berlin Tiergarten. Anlass war der Protest des türkischen Präsidenten gegen ein Gedicht des Satirikers Böhmermann, welches er verbieten lassen wollte. Dieses wurde gerichtlich abgelehnt; untersagt wurde aber auch, dass der damalige Landesvorsitzende der PIRATEN Berlin und Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl Bruno Kramm, Teile dieses Schmähgedichts anlässlich der Demonstrationen wiederholte.

Dies führt nun zu der absurden Situation, dass Jan Böhmermann einen Freispruch bekam, Bruno Kramm hingegen einen Strafbefehl, weil er gegen Auflagen verstoßen hat. An diese Absurdität fügt sich nahtlos an, dass das BAMF nicht allen geflüchteten türkischen Staatsbürgern Asyl gewährt, da die Türkei ein Rechtsstaat sei. [1] Angesichts der seit einem Jahr praktizierten Vorgehensweisen gegen Oppositionelle, kritische Journalisten und Wissenschaftler, eine nicht nachvollziehbare Begründung.

„Gerade in Zeiten von NetzDG und zunehmender Zensur gilt es vehement für die Meinungsfreiheit einzutreten. Sollte ein Gericht allen Ernstes diesen Strafbefehl aufrecht halten, macht sich die deutsche Justiz nicht nur zum Gesellen Erdogans, sondern verliert auch jede Glaubwürdigkeit in ihrer Ablehnung der türkischen Zensur und Justizwillkür gegenüber politischen Dissidenten und Oppositionellen. Wenn eine Gedichtinterpretation einem unkritischen Gedichtvortrag gleichen soll, sind die Gedanken längst nicht mehr frei. Sollte das Gericht auf das Strafmaß bestehen, werde ich den ersatzweisen Freiheitsentzug antreten, um gegen diesen Akt der Willkürjustiz angemessen zu demonstrieren.“,

so Bruno Kramm.

Quellen:
[1] http://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-deutschland-folter-101.html

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