Die aktuellen Entwicklungen um den Skandal mit PRISM und TEMPORA zeigen uns, dass der Albtraum vom Überwachungsstaat in Europa und USA bereits Realität geworden ist. Vergeblich wartet man darauf, dass die Regierung sich empört und Druck gegen diese Überwachungsmethoden macht.

Nein, statt dessen bastelt man hierzulande an dem eigenen Überwachungsstaat. Heute ist das Bestandsdatengesetz in Kraft getreten. Mit der Bestandsdatenauskunft können Polizei und Geheimdienste ab sofort sehr persönliche Informationen von Mobiltelefonbesitzern und Internetnutzern abrufen dürfen und das automatisiert und ohne größere rechtliche Hürden. Das Bestandsdatengesetz ist dabei nur eines von vielen nach und nach eingeführten Gesetzen, die unsere freiheitlichen Grundrechte aushöhlen. Grundrechte, für die Generationen vor uns gekämpft und zum Teil ihr Leben gelassen haben.

Alles nur Hysterie? Wollen wir einmal einen Blick auf den Zeitstrang der letzten 15 Jahre werfen:

1998 (SPD / Grüne)

  • Großer Lauschangriff
  • Satellitenüberwachung GEMS
  • Teilweise Aufhebung des Bankgeheimnisses

2002 (SPD / Grüne)

  • IMSI-Catcher zur Bestimmung des Standortes und zum Erstellen eines Bewegungsprofils von Personen nach auf Rechtsgrundlage § 100i der Strafprozessordnung
  • Rasterfahndung (es wurden 8.3 Millionen Menschen erfasst und dabei 1.689 muslimische (Ex-)Studenten überprüft. Ergebnis: 0 Terroristen gefunden)

2005 (SPD / Grüne)

  • E-Mail-Überwachung (37.000.000 gefilterte E-Mail und 213 verwertbare Hinweise – das ist eine Erfolgsquote von 0.000575 %)
  • Biometrischer Reisepass

2006 (SPD / CDU)

  • Anti-Terror-Datei
  • Stille SMS

2008 (SPD / CDU)

  • Vorratsdatenspeicherung (inzwischen vom Bundesverfassungsgericht gestoppt)
  • Staatstrojaner (Quellen-TKÜ) (inzwischen vom Bundesverfassungsgericht gestoppt)
  • Funkzellenabfrage

2011 (CDU / FDP)

  • Nationales Cyber-Abwehrzentrum

sowie auf EU Ebene:

  • INDECT
  • ADABTS
  • SAMURAI
  • uva

Die Behörden besitzen also bereits eine ganze Auswahl an Maßnahmen, die sie im Ermittlungsfall anwenden können. Erfolgsquoten im Nullkommabereich zeigen, dass hier oftmals die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist. Dieser Einschätzung folgt regelmäßig auch das Bundesverfassungsgericht. Ein Überwachungsgesetz nach dem anderen musste nachgebessert werden oder wurde bereits ganz gekippt. Mit dem neuen Gesetz zur Bestandsdatenauskunft können Geheimdienste, Zoll und Polizei noch einfacher Zugriff auf die bei Telekommunikationsdienstleistern gespeicherten Bestandsdaten bekommen. Bereits bei Ordnungswidrigkeiten haben Behörden ab sofort Zugriff auf private Daten (Name, Adresse, Kontodaten, Geburtsdatum; aber auch PIN- und PUK-Nummer des Smartphones oder Handys, IP-Adresse, Mailaccounts und digitale Adressbücher).

Sprich:

  • bei Falschparken
  • bei lauter Musik mit Nachbarschaftsbeschwerde
  • bei Rauchen auf dem Bahnhof
  • oder beim Blockieren von Nazidemos

Die erste Version des Gesetzesentwurfes musste nach einer Klage von Piratenpolitiker Patrick Breyer bereits nachgebessert werden. Das Bundesverfassungsgericht mahnte hierbei bereits ausdrücklich: wird der Besucher einer bestimmten Internetseite mittels der Auskunft über eine IP-Adresse individualisiert, weiß man nicht nur, mit wem er Kontakt hatte, sondern kennt in der Regel auch den Inhalt des Kontakts. Die Identifizierung von Internetnutzern stellt damit einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, weil sie die personenbezogene Nachverfolgung des Inhalts der abgerufenen oder geschriebenen Texte und Daten im Internet erlaubt.
Es gibt keine klaren Bestimmungen und damit auch keine wirksame Kontrolle über diesen Datenzugriff. Ebenso wenig wird der Betroffene über einen Zugriff informiert. Damit verstößt das Bestandsdatenauskunftsgesetz gegen die Grund- und Persönlichkeitsrechte, gegen die Unschuldsvermutung und gegen das Recht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung. Es wird argumentiert, dass die Behörden dringend eine solche BDA brauchen, damit ihre Arbeit erleichtert wird. Natürlich ist es wesentlich bequemer für Ermittler, wenn sie auf alle Daten irgendwie Zugang haben. Die Arbeit von staatlichen Ermittlern DARF aber nicht bequem sein. Sie darf nicht einfach sein! Und schon gar nicht, wenn der Verdächtige nicht einmal darüber informiert wird, dass er sich im Zweifelsfall dagegen wehren kann. Hier entsteht ein massives Rechts-Ungleichgewicht zwischen Behörden und Individuum.

Die Realität zeigt, das Schutzmaßnahmen wie der Richtervorbehalt nicht funktionieren: Die stille SMS (Stealthy Ping) wurde von 2006 bis 2011 fast 1,7 Millionen Mal angewandt. In Berlin (Friedrichshain) gab es massenhaft Funkzellenabfragen z.B. um die Liebigstraße 14 – wegen brennenden Autos. Hier gab es gezielte Ermittlungen nach einem Anfangsverdacht, der sich nie bestätigte. Funkzellenabfrage hatte auch den Richtervorbehalt – wurde letztendlich aber zu einer Routinemaßnahme, die regelmäßig Gesetze verletzte. Im Rahmen einer Nazi-Gegenkundgebungen in Dresden wurden bei einer Funkzellenabfrage hunderttausende Verbindungsdaten von Demo-Teilnehmern und Unbeteiligten gespeichert und ausgewertet. Die Rechtfertigung dieser Maßnahme lautete: “Die Polizei wollte herausfinden, ob bestimmte Personen, von denen Handynummern bekannt sind, sich am fraglichen Ort aufgehalten haben.” Im Zuge dessen kam es zu einem Ermittlungsverfahrens wegen “Behinderung einer angemeldeten Demonstration”. Mit der Bestandsdatenauskunft hätte die Polizei damals dann auch gleich die PIN für das konfiszierte Handy anfordern und damit auf die komplette persönliche Kommunikation des Betroffenen zugreifen können. Besonders brisant: es handelte sich seinerzeit um einen Mitarbeiter einer Regierungsopposition. Die Frage ist, wer soll hier eigentlich vor wem geschützt werden?

Wo Möglichkeiten existieren, existiert auch Missbrauch. Und selbst wenn wir der aktuellen Bundesregierung trotz allem noch vertrauen sollten – Gesetze existieren über eine Legislaturperiode hinaus. Ich muss also auch Vertrauen in alle Regierungen haben, die in der Zukunft noch kommen könnten. Es gibt viele Dinge, an denen man rütteln kann; unsere freiheitlichen Grundrechte gehören NICHT dazu! In einer demokratischen Gesellschaft sind unsere Grundrechte das höchste Freiheitsgut und Kapital, das wir besitzen. Wir alle haben höchstwahrscheinlich nichts zu verbergen.

Aber wir haben etwas zu bewahren: eine freie Gesellschaft.

Autorin: Cornelia Otto

7 Kommentare

  1. 1

    Ich denke wir brauchen schnellstens eine DEMO vor dem Kanzleramt.

  2. 2
    Speedy Gonzalez

    Wie? Watten? Kein einziger Comment hier?
    Hehe,…. böse für Euch – was die Aufmerksamkeit betrifft!

    Letztlich DAS Thema für die Bundestagswahl!

    Wie sieht’s denn mal aus, Eure juristischen Kapazitäten zu checken, daß Snowden hier Asyl bewilligt bekommt? Petition, Volkes Wille etc.?

    Wenn man sich die Comments bei allen(!) Nachrichten-Magazinen und -Seiten ansieht (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesregierung-lehnt-aufnahme-von-edward-snowden-in-deutschland-ab-a-909090.html), steht die Chance dafür nicht so schlecht!

    Wär mal ne korrekte Maßnahme! Und zugleich fette Aufmerksamkeitsökonomie samt Pluspun kte für die Wahl!

  3. 3
    Speedy Gonzalez

    Mann Mann Mann!

    Wenigstens ne Demo würde ick bundesweit groß ankündigen für das Asylrecht eines aufrechten Erdenbürgers!

    Seht zu, daß Ihr was geregelt kriegt! Einen bessere Vorlage gibt es nicht!

  4. 4

    Wie? Hier ist gerade der größtmögliche IT Skandal aufgedeckt worden und die Partei die die größte Kompetenz besitzt schläft?

    4 Kommentare?

    Wo ist die Demo? Ich helfe auch konkret bei Vorbereitungen? Gibt es diesbezüglich ein Treffen hier in Berlin?

    Gruß,

  5. 5
    Benjamin Kutschan

    Ja, das sehe ich genauso. Eine Demo ist ein Muss, jetzt wo wir Klarheit darüber haben, was HP Friedrich versäumt hat: Nämlich Snowden aufzunehmen und mit seiner Hilfe den Fall aufzuklären.

    Wir warten doch alle nur darauf, dass jemand sie ankündigt! Und wer, wenn nicht die Piratenpartei?

  6. 6

    Hier mal meine Meinung (als nicht-Pirat). Snowden Asyl zu geben ginge wohl eh nach hinten los – wegen der Auslieferungsverträge mit den USA würde er früher oder später im Flieger nach drüben sitzen. Man kann sich mit so einer Demo zwar aufstellen, aber ehrlich gesagt würde ich Snowden empfehlen, dieses Europa zu meiden.
    Leider ist der Snowden-Krimi stark von der Person geprägt. Ich halte ihn auch für einen Helden, aber was viele Menschen umtreibt:
    1. Angst vor Totalüberwachung durch die USA und (was der größere Vertrauensbruch ist) durch die Briten.
    2. Die seltsame Untätigkeit und der Mantel des Merkel’schen Schweigens über der Bundesregierung (die zaghaften Aufschreie gen USA klangen nicht glaubwürdig)
    Und heute: die Verhandlungen über die Freihandelszone gehen wie geplant los. Wie bitte? Die EU und Ländervertretungen sind verwanzt und mit denen verhadeln wir jetzt als wär nix geschehen?

    Was bedeutet diese Freihandelszone eigentlich? Warum verzahnen wir die europäische Wirtschaft so stark mit der amerikanischen? Konterkariert das nicht die europ. Integrationsbemühungen? Warum emanzipieren wir uns nicht und bauen die Handelsbeziehungen mit allen Partnern aus, anstatt Steigbügelhalter für eine Weltmacht zu spielen, die um ihren Status fürchtet. Was ist eigentlich mit der Datensicherheit, mit dem Patentrecht, wenn die USA offenen Zugang zum europäischen Markt hat?

    Das sind alles Fragen die in eure Kernkompetenz fallen und viele Leute sind verunsichert. Ich denke mit einer Snowden Demo sprecht ihr Schüler und Studenten an, die große Masse aber macht sich um die Hintergründe Sorgen. Da es keine Wortführer in der BR gibt, Gauck enttäuscht, und Rot-Grün nicht glaubwürdig ist, müsstet ihr bei dem Thema eigentlich noch stärker in den Medien vertreten sein… viel Glück schonmal, ich hoffe auf euch.

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