> Wahlkampferlebnis eines Neu-Piraten <

„Alles nur Männer?“, mosert die etwa 50-Jährige, der ich gerade einen Flyer überreicht habe. „Nein, ich bin doch da“, antworte ich, obwohl ich weiß, was sie meint. „Na, wo sind Sie denn? Sie sind aber hier nicht dabei“, kontert sie und zeigt auf den Flyer. „Stimmt“, sage ich „Die Piratenpartei wurde hauptsächlich von Männern gegründet. Wir Frauen können doch auch aktiv werden, ich bin jetzt Mitglied. Ich sage Ihnen, es ist toll, wie engagiert sich die Piraten für unsere Politik einsetzen, anstatt sich nur auf das Internet zu beschränken, oder?“ Sie schaut mich an. 1:0 für mich.

„In unserem Programm ist das Bekenntnis zu Humanismus und zur Menschenwürde aller Menschen an erster Stelle verankert. Eine Differenzierung nach Geschlecht, Alter o.ä. lehnen wir ab.“ Das hatte ich mir auswendig gelernt, aus Sorge etwas zu verdrehen, wenn ich nach meiner Lippe spreche. Ich bin froh, dass es mir zu sagen jetzt so locker gelingt.
„Wofür stehen Sie denn?“, fragt sie, jetzt schon viel offener und wedelt mit dem Flyer herum.
„Wir wollen eine bürgernahe Politik, die transparent ist für uns Bürger.“

Ich schaue sie an. Sie hört interessiert zu, da rede ich einfach mal weiter.
„Wir setzen uns ein für mehr Demokratie beim Wählen, die Stimmhürden für Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlungen wollen wir z.B. abschaffen, wir setzen uns ein für die Stärkung der Bezirke, wollen mehr Verbindlichkeit für direktdemokratische Initiativen und wollen Bürgerhaushalte schaffen, über die die Bürger viel direkter bestimmen können, was in ihrem Kiez passiert.“
Sie nickt.

„Die Daseinsfürsorge und Sicherung der Infrastruktur wollen wir in kommunale Verantwortung übertragen, die Privatisierung von Diensten, wie Gas-, Strom- und Wasserversorgung sowie Abwasserbehandlung lehnen wir ab.“
„Ah, der Wasservertrag, ja, da haben sie Recht, da könnte ich zuviel kriegen, wenn ich daran denke. Unverschämtheit“, regt sie sich kurz auf. Und schaut mich wieder an.

„Uns ist es ein Anliegen, kostenloses Mittagessen und Schulobst für Berlin einzuführen. Sprache ist der Schlüssel zur Bildung und gute Bildung bringt uns alle weiter, deshalb wollen wir freien Zugang zu Informationen, Wissen und Bildung. Um eine individuelle Förderung zu gewährleisten, wollen wir 15-köpfige Klassen oder Lerngruppen mit zusätzlicher Unterstützung der Lehrenden durch nicht-lehrendes Personal, das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der individuellen Förderung.“
„Was mein Enkel in der Grundschule hat erdulden müssen, können Sie sich nicht vorstellen“, jetzt braust sie richtig auf. In den nächsten Minuten erzählt sie mir vom Schicksal ihres Enkels, der an der Willkür einer einzigen Lehrerin gescheitert ist. „Jetzt ist er auf einer Privatschule!“, schließt sie. „Was meinen Sie, was wir im Moment bezahlen.“
„Wo ist die Schule denn?“
„In Charlottenburg.“
„Hui, das ist aber weit weg.“, bedaure ich das Kind. „Wissen Sie, dass wir uns dafür einsetzen, dass Schulen in staatlicher wie auch solche in freier Trägerschaft in allen Feldern die gleichen Förderungsmöglichkeiten erhalten? So können auch Schulen in freier Trägerschaft ohne Schulgeld zugänglich sein.“
„Ja, das ist gut“, sie nickt „Dem Kind geht es endlich besser. Er hat wieder Spaß am Lernen bekommen. Das war ja ein Frust vorher, das können Sie sich nicht vorstellen.“
„Da hat er aber Glück, dass Sie sich so engagieren“, sage ich anerkennend.

Ich hätte ihr noch gern von unseren anderen Themen erzählt, hatte mir Argumente wie „Mindestlohn und Grundeinkommen sind für uns ein wichtiges Thema, wir wollen kernspaltungsfreie Energie in Berlin. Wir planen die fahrscheinlose Nutzung ÖPNV zum Nulltarif, auf jeden Fall wollen wir Transparenz im ÖPNV – die S-Bahn soll endlich die Verträge offen legen. Wir wollen mehr Mitbestimmung bei Verkehrsprojekten umsetzen und lehnen Überwachung im öffentlichen Raum ab.“
Aber dazu komme ich nicht mehr.
„Ich muss jetzt wirklich los!“, sagt sie und wendet sich zum Gehen. „Vielen Dank für Ihre tollen Informationen, ich lese mir das noch mal durch und überlege mal.“ Dazu zwinkert sie mich verschmitzt an.
„Danke, das freut mich sehr“, erwidere ich. Ich fühle mich fast ein wenig geschmeichelt, immerhin ist es gerade erst meine zweite Wahlkampfwoche und es ist eins meiner ersten Gespräche direkt mit den Bürgern. Bisher habe ich mich darauf beschränkt, Flyer und Luftballons zu verteilen.
Sie ist schon fünf Meter weit weg, da dreht sie sich um.
„Wie heißen Sie?“
Ich nenne ihr meinen Namen.
„Den merke ich mir. Und wenn Sie dann das nächste Mal mit im Flyer sind, kann ich ja Sie wählen.“
1:0 für die Piratenpartei.

Mit doppelter Freude und Motivation verteile ich weiter Flyer, und Luftballons. Anfangs hatte ich ja wirklich große Hemmungen etwas zu sagen, und fand, dass meine Mitpiraten das unerreicht gut machen. Aber so schwer ist es ja gar nicht! Ich finde es gut, dass sich immer mehr Piraten, oder eben Piratinnen, engagieren. Offiziell sind wir ja alle Piraten, für eine moderne Form der neuen Demokratie! Die Wahlergebnisse zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

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